(English version below)

Unruhig bleiben!

Als im März 2015 hunderttausende Menschen in Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens, auf die Straße gingen, um gegen die enorm hohe Rate an Feminiziden, gegen sexualisierte sowie geschlechtsspezifische Gewalt und gegen den tatenlos zusehenden Staat zu protestieren, war die ni una menos Bewegung geboren. Ni una menos, das bedeutet „nicht eine weniger“ und nimmt Bezug auf die vielen Feminizide im Land und in ganz Südamerika. Schnell verbreitete sich die Bewegung wie ein Lauffeuer durch Lateinamerika und um die ganze Welt.

In Bochum gehen wir 2023 bereits das fünfte Jahr in Folge anlässlich des 8. März mit tausenden Menschen auf die Straße, um uns gegen patriarchale Unterdrückung und sexualisierte Gewalt stark zu machen. Der feministische Kampftag ist zu einem festen Bestandteil des linksaktivistischen Jahreskalenders in Bochum geworden. Dass dieser Tag so sehr an Bedeutung gewonnen hat, ist gewiss unser aller Erfolg. Doch es wäre fatal sich auf diesem Erfolg auszuruhen, denn unzählige globale und lokale Krisen lassen uns täglich an die Notwendigkeit unserer Kämpfe erinnern.

Die Welt brennt vor Katastrophen!

Um einige Beispiele zu nennen:

Am 13. September vergangenen Jahres wurde Jina Amini von der iranischen sog. „Moralpolizei“ in Teheran, mit der Begründung ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen zu haben, verhaftet und im Evin-Gefängnis in Gewahrsam genommen. Bei ihrer Entlassung befand sie sich im Koma und verstarb drei Tage später im Krankenhaus. Nach diesem Mord brachen Proteste los, die das ganze Land erfassten. Der Kampf um die Selbstbestimmung von Frauen, Nicht-Binären, trans Menschen und Queers wurde schnell zu einem Kampf um den Sturz des Mullah-Regimes. Zahlreiche gesellschaftliche Gruppen haben den Kampf um die Selbstbestimmung aufgenommen und mit eigenen Anliegen verbunden. Seitdem hat das Regime eine brutale Repression entfesselt. Hunderte Tote sind bereits zu beklagen, zahlreiche Verhaftungen von teilweise minderjährigen Protestierenden und Berichte über systematische sexualisierte Gewalt und Folter wurden bekannt. Der Kampf gegen die patriarchalen Herrschaftsstrukturen hält bis heute an.

Seit der Machtergreifung der islamistischen Terrorgruppe „Taliban“ in Afghanistan am 15. September letzten Jahres verschlechtern sich die Zustände im Land fortlaufend. Im Zentrum dieser reaktionären und regressiven Entwicklung steht dabei die rigorose Beschneidung von Rechten von Mädchen, Frauen und Queers: So ist Mädchen mittlerweile der Besuch von weiterführenden Schulen untersagt und Universitäten sind für Frauen gesperrt, Frauen dürfen nur noch in Begleitung eines männlichen Familienangehörigen reisen und viele Arbeitsplätze wurden für Frauen gesperrt.

In Münster wurde vergangenen Sommer am Rande des Christopher Street Days der 25-jährige trans Mann Malte so brutal zusammengeschlagen, dass er fünf Tage später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Der Täter hatte vorher zwei Frauen lesbenfeindlich beleidigt, Malte schritt ein und versuchte zu vermitteln. Es war ein transfeindlicher, ein queerfeindlicher Angriff mit tödlichem Ausgang. Transfeindlichkeit tötet. Queerfeindlichkeit tötet.

Wir werden nicht müde zu wiederholen: wir müssen unsere Kämpfe verbinden!  Unser feministischer Kampf ist ein Kampf für ein besseres Leben für Alle!

So möchten wir heute auch an den andauernden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine erinnern, welcher bereits zu etlichen Toten geführt hat. Dramatische Folgen dieses verbrecherischen Krieges, der zu Armut, Hunger und Vertreibung führt, sind unter anderem Menschenhandel und sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe, Rassismus gegenüber Menschen auf der Flucht und damit einhergehend eine abscheuliche Hierarchisierung von fliehenden Menschen, die hier Zuflucht suchen, sowie die von der Bundesregierung durch den Krieg legitimierte Aufstockung des Bundeswehrhaushalts um 100 Milliarden Euro.

Wir möchten daran erinnern, dass in unserer Nachbarstadt Dortmund am 8. August 2022 der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé von der Polizei auf offener Straße erschossen wurde. Einer der 12 anwesenden Polizist*innen feuerte nach einem Taser-Einsatz sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole auf Mouhamed ab, vier davon trafen ihn. Die anwesenden Beamt*innen waren nicht in Gefahr, es war keine Notwehr, es war Mord. Dass die Bodycams aller am Einsatz beteiligten Polizist*innen ausgeschaltet waren, überrascht nicht. Mouhamed hätte Hilfe gebraucht, stattdessen wurde er erschossen. 

Wir möchten außerdem daran erinnern, dass erst vor wenigen Wochen das Dorf Lützerath, unweit von Bochum, für die Gewinnung von Braunkohle abgerissen wurde. Die Räumung des Ortes, bei der es zu massenhaften Protesten von Aktivist*innen kam, hat einmal mehr gezeigt, mit was für einer brutalen Gewalt vorgegangen wird, wenn es um das Durchsetzen kapitalistischer Großinteressen geht. Hier wurde die widerliche Fratze des Kapitalismus mal wieder zur Schau gestellt.

Wir brennen vor Wut!

Die Kontinuität unserer Kämpfe darf nicht dazu führen, dass wir müde werden. Denn feministische Kämpfe haben gerade eine Stärke und Mobilisierungskraft, die wir erkennen und nutzen müssen. Wir müssen sie nutzen, um sie mit anderen Kämpfen zu verbinden: mit antirassistischen Kämpfen, denn Rassismus ist eine hierarchische, gewaltvolle und menschenfeindliche Strukturierung der Gesellschaft; mit der Befreiung der Arbeiter*innenklasse, denn die Erfahrung der Ausbeutung im Kapitalismus ist die, die wir alle miteinander teilen; mit klimaaktivistischen Kämpfen, denn die globale Erderwärmung ist eine Bedrohung für unser aller Leben, deren Gefahr wir möglicherweise noch nicht richtig begriffen haben.

Wir brennen vor Wut, doch unser Feuer darf nicht erlöschen, bis nicht alle befreit sind. Wir dürfen nicht zur Ruhe kommen, bis nicht wirklich und überall gilt: ni una menos, keine mehr! Wir dürfen nicht ruhig bleiben, nicht ruhig werden. Wir müssen weiter kämpfen gegen patriarchale Unterdrückung, gegen Krieg, gegen Rassismus, gegen den Kapitalismus und für ein befreites Leben für alle! Lasst uns das Gemeinsame in unseren Kämpfen erkennen und nicht die Unterschiede betonen!

Lasst uns unruhig bleiben! Let’s stay restless! Heraus zum feministischen Kampftag 2023!

English:

Stay restless!

When hundreds of thousands of people in Buenos Aires, the capital of Argentina, took to the streets in March 2015 to protest the enormously high rate of feminicides against sexualized as well as gender-based violence and against the state that stood idly by, the ni una menos movement was born. Ni una menos, meaning „not one less,“ refers to the many feminicides in the country and throughout South America. Quickly, the movement spread like wildfire through Latin America and around the world.

In Bochum in 2023 we take to the streets for the fifth year in a row with thousands of people on the occasion of March 8 to stand up against patriarchal oppression and sexualized violence. The feminist day of struggle has become a fixed part of the left activist annual calendar in Bochum. The fact that this day has gained so much importance is certainly a success for all of us. But it would be fatal to rest on this success, because countless global and local crises remind us daily of the necessity of our struggles.

The world is burning with catastrophes!

To cite a few examples:

On September 13 last year, Jina Mahsa Amini was arrested by the Iranian so-called „morality police“ in Tehran, on the grounds that she had not worn her headscarf properly, and was taken into custody in Evin Prison. She was in a coma when she was released and died in the hospital three days later. After this murder, protests broke out and swept the entire country. The struggle for the self-determination of women, non-binary, trans people, and queers quickly became a struggle to overthrow the mullah’s regime. Numerous social groups took up the struggle for self-determination and linked it to their own concerns. Since then, the regime has unleashed a brutal repression. Hundreds of deaths have already occurred, numerous arrests of protesters, some of whom are minors, and reports of systematic sexual violence and torture have come to light. The struggle against the patriarchal structures of rule continues to this day.

Since the seizure of power by the Islamist terrorist group „Taliban“ in Afghanistan on September 15 of last year, conditions in the country have been deteriorating continuously. At the center of this reactionary and regressive development is the rigorous curtailment of the rights of girls, women and queers: girls are now forbidden to attend secondary schools and universities are closed to women, women are only allowed to travel in the company of a male family member and many jobs have been closed to women.

Last summer in Münster, on the fringes of the Christopher Street Day, Malte, a 25-year-old trans man, was beaten up so brutally that he succumbed to his injuries five days later in hospital. The perpetrator had previously insulted two women in a lesbophobic way, Malte intervened and tried to mediate. It was a transphobic, a queerphobic attack with a deadly outcome. Transphobia kills. Queerphobia kills.

We never tire of repeating: we must unite our struggles! Our feminist struggle is a struggle for a better life for all!

So today we also want to remember Russia’s ongoing war of aggression on Ukraine, which has already led to several deaths. Dramatic consequences of this criminal war, which leads to poverty, hunger and displacement, are among other things human trafficking and sexualized violence as a weapon of war, racism against people on the run and with it a heinous hierarchization of fleeing people seeking refuge here, as well as the increase of the Bundeswehr budget by 100 billion euros legitimized by the German government through the war.

We want to remember that in our neighboring city of Dortmund, 16-year-old Mouhamed Lamine Dramé was shot dead by police in the street on August 8, 2022. One of the 12 police officers present fired six shots from a submachine gun at Mouhamed after a taser operation, four of which hit him. The officers present were not in danger, it was not self-defense, it was murder. It is not surprising that the body cams of all police officers involved in the operation were switched off. Mouhamed would have needed help, instead he was shot. 

We would also like to remind you that only a few weeks ago the village of Lützerath, not far from Bochum, was demolished for the extraction of brown coal. The eviction of the village, which was accompanied by mass protests of activists, has once again shown what kind of brutal violence is used when it comes to enforcing capitalist big interests. Here, the disgusting grimace of capitalism was once again on display.

We are burning with rage!

The continuity of our struggles must not lead us to become tired. Because feminist struggles have a strength and mobilization power right now that we have to recognize and use. We have to use it to connect it with other struggles: with anti-racist struggles, because racism is a hierarchical, violent and anti-human structuring of society; with the liberation of the working class, because the experience of exploitation under capitalism is the one we all share; with climate activist struggles, because global warming is a threat to all our lives, the danger of which we may not yet have fully understood.

We burn with rage, but our fire must not go out until all are freed. We must not be at peace until truly and everywhere: ni una menos, no more! We must not remain calm, not become calm. We must continue to fight against patriarchal oppression, against war, against racism, against capitalism and for a liberated life for all! Let’s recognize the common in our struggles and not emphasize the differences!

Let’s stay restless! Let’s stay restless! Out for the feminist struggle day 2023!

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